GALERIE DER ERINNERUNG
dokumentation

EntArteOpera

 

2016

marsch der frauen

EntArteOpera 2016
Projekt Wien 2016


THEMENSCHWERPUNKT Verfemte und Vergessene Komponistinnen


Ausstellung
Marsch der Frauen
Ungehörige Komponistinnen zwischen Aufbruch, Bruch & Exil


marsch der frauen

The March of the Women

M – wie Musik, Marsch der Frauen, Mäzenin, Muse, Mentorin. M – wie Metamorphose, Multitalent, musikalische Liebschaften, Modernität oder Meisterin. Komponierende Frauen waren oft nicht nur auf ein Metier beschränkt. Sie arbeiteten als Dirigentinnen, Pianistinnen, Pädagoginnen, Musiktherapeutinnen, Veranstaltungsorganisatorinnen, Managerinnen oder Nachlassverwalterinnen. Die multiplen Talente und Tätigkeiten behinderten sie manchmal in ihrem Karriereweg, eröffneten ihnen jedoch auch weitere Tätigkeitsfelder.

Eines eint die hier versammelten sieben Lebensläufe von Komponistinnen aus fünf Ländern zwischen 1850 und 1980: Alle aus Österreich, Deutschland, Tschechien, den Niederlanden und England Stammenden widersetzten sich den weiblichen Rollenstereotypen. In ihrem Aufbruch zur musikalischen Kreativität waren sie ungehörig und wollten gehört werden. Ihr bewegter Marsch setzte Marksteine in der Musikgeschichte der letzten 130 Jahre, die es im historischen Gedächtnis und der Aufführungspraxis zu positionieren gilt. Die Biographien zeigen exemplarisch mutige Selbstzeugnisse von Frauen in den von Männern dominierten Domänen von Komposition und Dirigat. Sie komponierten Vokal- oder Kammermusik, Lieder, Chansons, Operetten und Opern und dirigierten selbst ihre Werke.

Diese bemerkenswerten musikalischen Karrieren wurden durch den Zweiten Weltkrieg radikal unterbrochen. Durch das NS-Regime diffamiert, erhielten sie Aufführungsverbot, wurden zur Flucht oder in die innere Emigration getrieben. Mancher erzwungene Neubeginn in fremden Ländern machte jedoch auch berufliche Umbrüche möglich. Ihren kräftigen Ton-Spuren gilt es, Gehör zu schenken und ihr musikalisches Vermächtnis neu zu entdecken.

Produzentinnen und Co-Produzentinnen

Dass es die Komponistin kaum gibt ist ein Mythos. Die International Encyclopedia of Women Composers benennt bereits in ihrer zweiten Ausgabe aus dem Jahr 1987 insgesamt 6.196 Frauen, die sich der Komposition widmeten. Sie waren aber nicht nur Produzentinnen sondern auch Co-Produzentinnen. Als letztere ging ihr Schaffen allerdings oft in das Werk männlicher Kollegen, Ehemänner oder Brüder ein. Als Salondamen schufen sie in ihren Salons atmosphärische Klangkörper und betrieben gezielt Kulturpolitik meistens für die männlichen Mitglieder. Der kreative Akt von Musen, Mäzeninnen und Mentorinnen wurde jedoch als wesentlicher Beitrag des schöpferischen Prinzips ausgeblendet, da dieses ausschließlich männlich definiert war. Weibliche Selbstzeugnisse sind zudem spärlich. Seit den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Wiederentdeckung vieler Musikerinnen und es ertönt ein kraftvolles Orchester. Diesen Spuren verlorener Partizipation gilt es, in der kulturhistorischen Analyse ihre Geschichtsmächtigkeit zurückzuerstatten.

Kompositorische Selbstdefinition von Frauen

Die Strategien von Komponistinnen oder Dirigentinnen in einem als männlich definiertem Metier machen Frauen zu Pionierinnen. Die Hemmnisse von kollektiver Zensur und individueller Selbstzensur folgen dabei tief verinnerlichten Rollenklischees. Trotz der mannigfaltigen Hindernisse zeigen sich bei den Kunstproduzentinnen ab den 1850 Jahren neue Partizipationsstrategien der nun möglich gewordenen Professionalisierung. Doch Medizin und Wissenschaft postulierten die biologisch determinierte Unterlegenheit der Frau und damit ihre Minderwertigkeit. Das sogenannte Männliche galt als normative Richtlinie, die Frau als Abweichung von ihr als defizitär und „aus der Art geschlagen“. Eine Subjekthaftigkeit wurde ihr ebenso abgesprochen wie die schöpferische Tätigkeit.

Geniekult und Männlichkeitswahn

Das rein männlich gedachte Genie erhielt gerade in den Bereichen der Kunst um 1900 eine fundamentale Bedeutung. Gegen die männliche Angst vor seinem Subjektverlust und der Erkenntnis der Endlichkeit verspricht ein ewigkeitstaugliches Kunstwerk geradezu die Überwindung der Sterblichkeit. Indem es sich zum Schöpfer auf Erden erklärt, postuliert es mit seinen, auf die Unsterblichkeit ausgelegten Kunstwerken auch im Transzendentalen einen Gottesersatz. Jede Komponistin wird daher zum lebendigen Beweis, dass das männliche Genie auch weiblich gedacht werden kann. Um die androzentrische Heilsordnung zu bewahren, muss weibliches Schaffen ignoriert, kopiert, manipuliert, vor allem aber eliminiert werden. Dies geschieht bereits zu Lebzeiten durch Ehepartner, Lehrer, Kritiker, Verlage, Intendanten und posthum durch die Historiographie.
Wie stark dieses Prinzip auch von Frauen verinnerlicht wurde, zeigt ihre Strategie männliche Pseudonyme zu verwenden, sich den männlichen Doktrinen der akzeptierten Muse, Mentorin oder Mäzenin zu unterwerfen und ihre Kraft nicht für das eigene, sondern für das männliche Kunstwerk zu verwenden. Oft gaben sie, wenn auch eigenverantwortlich so doch Selbstzensur übend, das eigene Schaffen auf und wurden „mitberühmt“.
Geniekult und Heldenverehrung gingen im Nationalsozialismus neue unheilvolle Allianzen ein. Das verkannte Künstlergenie Adolf Hitler stilisierte sich zum Führer einer ihm unterworfenen Volksgemeinschaft. Nicht zufällig griff das Frauenbild des Nationalsozialismus auf die bereits um 1900 biologistisch determinierten Bilder der Ehefrau und Mutter zurück. Erweitert durch die Rolle der Kameradin, wurde die Frau nicht nur dem Mann, sondern der gesamten Volksgemeinschaft untergeordnet. Weibliche Selbstverwirklichung bedeutete nun Aufopferung. Ausländische Vorbilder der Emanzipation oder die bürgerliche und proletarische Frauenbewegung wurden ebenso wie die Suffragetten zu Feindbildern der NS-Ideologie. Sexismus und Rassismus waren jene Grundpfeiler des NS-Regimes, die den vorangegangenen Aufbruch von Frauen mit einem radikalen Bruch konfrontierten.

Strategien des Erfolgs

Die Lebensläufe von sieben Komponistinnen zeigen wesentliche Kriterien des beruflichen Erfolgs, die auch heute noch Gültigkeit haben: Frühe Förderung, handwerkliche Forderung und fachliche Qualifizierung. Dazu kommen eine klare Berufung und ein inneres Feuer, um ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Der kreative Prozess benötigt Kraft, Ausdauer und das Wagnis zur Einsamkeit. Organisationstalent, Self-Management und ein unterstützendes soziales Umfeld sind für den Erfolg wichtige Voraussetzung. Dabei bedarf es des weiblichen Mutes, um die eigene Stimme hörbar zu machen. Frauen, die in eine männliche Domäne eindringen, sind dabei besonders gefordert und gefährdet. In der als positiv wahrgenommenen Repräsentanz des Männlichen kann es oft zu einer Imitation kommen. In der Wahl männlicher Pseudonyme und dem Auftritt in Männerkleidung erfolgt zwar eine Anpassung an die androzentrische Norm, sie kann jedoch ebenso als Durchsetzungsstrategie genutzt werden. Wenn Frauen zudem das Diktat der Heterosexualität auflösen, beginnen sie, die Geschlechtergrenzen neu zu definieren.
Netzwerken ist bei der Durchsetzung einer beruflichen Karriere ebenso zentral wie die Unterstützung durch Mentoren und Mentorinnen. Aufteilung von Kindererziehung und Hausarbeit oder externe Delegation sind jene Fundamente, die Frauen ihren Frei-Raum bewahren helfen, um sich der Komposition und einer Karriere zu widmen. Auch die Entscheidung für berufliche Selbstbestimmung als Single mag die Chancen vergrößern.
Der kreative Akt kennt weder Zeit noch Raum. Er ist dem richtigen Augenblick geschuldet und folgt seinen inneren Wegen. Nur Ungestörtheit in Räumen und Zeiten ermöglichen die Pause, die den Ton schafft, der Rest ist Handwerk, Netzwerk, Management und Glück.

Dr.in Lisa Fischer